Erinnern Sie sich noch? "Werden ‒ Sein ‒ Vergehen" heisst der thematische Dreischritt durch die zwei zurückliegenden und die aktuelle Saison des Musikkollegium Winterthur. Was würde sich mit dem Thema "Vergehen" naheliegender, ja zwingender verbinden als der Tod, als das Ableben von liebgewonnenen Menschen? Mozarts Requiem, letztlich sein eigener Sterbegesang, gemahnt uns an die eigene Vergänglichkeit, und auch die gleichzeitig entstandene kurze Motette "Ave verum corpus" besingt den Leib Jesu am Kreuz sowie dessen Todeslos. Solche Zuversicht im christlichen Glauben war Johannes Brahms eher fremd. Seine Alt-Rhapsodie auf Verse aus Goethes "Harzreise im Winter" kündet von einem Menschen, dessen Liebesfülle sich zu Hass und Menschenverachtung verkehrte. Es ist ein ausgesprochen autobiografisches Werk, in dem Brahms seine unerwiderte (und wohl auch nie klar ausgesprochene) Liebe zu Schumanns Tochter Julie zu verarbeiten versuchte. Sie hatte sich 1869 mit einem italienischen Grafen verlobt. "Hier habe ich ein Brautlied geschrieben für die Schumannsche Gräfin ‒ aber mit Ingrimm schreib ich derlei, mit Zorn!", gestand Brahms seinem Verleger. Doch Goethes Schlussverse (und Brahms' unvergleichliche Musik dazu) wenden sich vertrauensvoll an den "Vater der Liebe" und bitten im Leid um Erquickung.